Der Workshop widmet sich aktuellen Ansätzen multimodaler Forschung in den Gesellschafts- und Geisteswissenschaften. Zur Diskussion stehen verschiedene mehr-als-textbasierte Methoden aus Kultur- und Sozialanthropologie, visueller und digitaler Ethnografie, Geschlechterforschung und den Digital Humanities. Die Beiträge beleuchten, wie multimodale Formate (mit Fokus auf die Erforschung von #Stadtraum) konzipiert, archiviert und bewertet werden können, welche methodischen Werk-zeuge – von verschiedenen Mapping-Ansätzen bis zu computationalen Ansätzen – dafür geeignet sind und wie ethische sowie epistemologische Herausforderungen verhandelt werden. Der Workshop lädt ein, über die Grenzen klassischer Wissensproduktion hinauszudenken und gemeinsam über Potenzi-ale, Grenzen und Kriterien für die Anerkennung und nachhaltige Nutzung multimodaler Forschungs-ansätze zu diskutieren. Besondere Berücksichtigung findet dabei die Frage, welche Methoden im Rahmen eines geplanten Citizen Science Projekts mit Jugendlichen zur kollaborativen Erforschung und Kreation von Mikro-Interventionen für eine geschlechtergerechte #Stadt geeignet sind.
Die multimodale Wende? Ethnografisches Arbeiten war schon immer multimodal
Judith Albrecht (Webster Universität Wien)
Ethnograf:innen in den Geistes- und Sozialwissenschaften experimentieren in jüngerer Zeit vermehrt mit multimodalen Formen der Beschreibung, Analyse und Intervention. Ziel ist es, schwer fassbare Forschungsgegenstände besser zu verstehen, neue Zielgruppen zu erreichen und bislang ungenutzte Potenziale für vielfältige Handlungsformen in der Welt zu aktivieren. Diese sogenannte „multimodale Wende“ hat zu einer Vielzahl von mehr-als-textbasierten Formaten geführt, die sich nur schwer klassifizieren lassen und häufig im Widerspruch zu etablierten Formen disziplinärer Wissenspro-duktion stehen.
Trotz der wichtigen Öffnungen, die multimodale Arbeiten ermöglichen, werden sie in der akademischen Welt nur selten als gleichwertig zu klassischen Publikationsformaten wie Artikeln oder Monografien anerkannt. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Gutachter:innen, Betreuer:innen und Kolleg:innen oft mit einem komplexen Bewertungsproblem konfrontiert sind: Nach welchen Kriterien lassen sich solche multimodalen Singularitäten beurteilen?
Da der Begriff „multimodal“ in unterschiedlichen Kontexten sehr verschieden verwendet wird, ist es wichtig, zu präzisieren, was die jeweiligen Projektpartner*innen unter diesem Begriff verstehen. Der kurze Input Vortrag widmet sich dieser Frage und zeigt Möglichkeiten auf, Forschungsprojekte bereits in der Konzeption „multimodal“ zu denken und zu entwickeln.
Mapping Multi-Presence: Methodische Überlegungen zur Erforschung & Visualisierung
mehr-als-digitaler Praktiken im Stadtraum
Ruth Dorothea Eggel (Technischen Hochschule Köln)
Der Stadtraum wird in hybriden Geflechten verkörperter, digitaler und symbolischer Praktiken erfahrbar. Dieser Input fragt danach, wie sich solche multipräsenten Alltagspraktiken, in denen Geschlechtergerechtigkeit multimedial ausgehandelt wird, ethnografisch erfassen, analysieren und visualisieren lassen. Der Stadtraum wird dabei als mehr-als-digitales Feld verstanden, in dem digitale Interaktionen, materielle Stadtarchitektur, symbolische Orte und gelebte Erfahrungen in komplexen Beziehungskonstellationen aufeinandertreffen. Eine zentrale Herausforderung besteht in der (Un-)Gleichzeitigkeit dieser Ebenen und in der Frage, wie situativ generierte digitale Eindrücke empirisch erhoben und in Relation zu physischen Orten gesetzt werden können.
Gleichzeitig nutzen wir zahlreiche digitale Werkzeuge, die eigene Implikationen für die Forschung mit sich bringen. Darüber hinaus soll für die Erstellung eines Werkzeugkoffers eruiert werden, wie ein passendes multimodales Methodenbündel geschnürt werden kann. Dabei werden sowohl Fragen adressiert, wie Schüler*innen als Citizen Scientists eingebunden werden können, als auch Fragen der Datenspeicherung und Nachnutzung. Ich diskutiere dafür verschiedene Mapping-Ansätze – von OpenStreetMap über kollaborative Datenbanken bis hin zu feministischen und intersektionalen Mapping-Projekten – und stelle Überlegungen zu speziell angepassten Tools an. Zudem thematisiere ich Outreach-Potentiale durch digitale Stadtrundgänge, Apps und langfristige Archivierungs-möglichkeiten. Dabei wird Mapping als ein methodisches Instrument verstanden, das nicht nur Lokalität visualisiert, sondern auch zur partizipativen Analyse und langfristigen Nachnutzung von Daten beitragen kann.
Datenerhebung und -management in der digitalen Ethnografie: Methoden und Tools
Chiara Zuanni (Universität Graz)
Dieser Vortrag befasst sich mit dem Potenzial, Methoden der digitalen Geisteswissenschaften zur Unterstützung ethnografischer Forschung einzusetzen – mit besonderem Fokus auf nicht-textuelle, multimodale und „born-digital“ Daten. Er diskutiert digitale Strategien für die Erhebung, Analyse und Verwaltung visueller und multimedialer Quellen, darunter Fotografien, Videoaufnahmen und Inhalte aus sozialen Medien. Der Beitrag untersucht Werkzeuge und Arbeitsabläufe zur Annotation und Archivierung solcher Daten sowie computational Ansätze zur Identifikation von darin enthaltenen Mustern und Narrativen. Darüber hinaus werden die ethischen und epistemologischen Heraus-forderungen diskutiert, die sich bei der Arbeit mit diesen kontextgebundenen und persönlichen digitalen Artefakten ergeben. Ziel der Präsentation ist es zu zeigen, wie digitale Methoden die Dokumentation kultureller Phänomene bereichern. Diskutiert werden Beispiele von Tools für neue analytische Perspektiven im Kontext der Untersuchung menschlicher Erfahrung.
KURZBIOGRAFIEN
Judith Albrecht ist Sozialanthropologin, visuelle Ethnografin und Kuratorin, die an der Schnittstelle von Wissenschaft und engagierter public anthropology arbeitet. Sie erforscht Machtstrukturen und Wissensproduktion in diversen Kontexten mit Gender als zentraler analytischer Linse. Ihre interdis-ziplinären Forschungsinteressen umfassen Geschlecht und soziale Bewegungen, Migration und Diaspora, Care-Arbeit, Trauma, Gewalt und Erinnerung, transkulturelle Medien und Filmarbeit.
Ruth Dorothea Eggel ist Postdoc-Forscherin an der Technischen Hochschule Köln am Cologne Game Lab. Sie ist Expertin im Bereich Geschlechterforschung, digitaler Ethnografie und multimodaler Me-thodologien und erforscht technosoziale Lebenswelten mit Theorien der Feminist Technoscience.
Chiara Zuanni ist Assoziierte Professorin für Digital Humanities mit Schwerpunkt Museologie an der Universität Graz. Ihre Forschungsinteressen liegen in der Darstellung und Vermittlung des Kulturerbes in Museen, in Prozessen der Heritage-Bildung mit digitalen Medien sowie in der Bewahrung und Er-forschung von digital geborenem Kulturerbe (inkl. Digitale Ethnografie).
TIMETABLE
09.45 Uhr
Ankommen
Inputs (je ca. 30 Minuten Input und ca. 30 Minuten Diskussion mit anschließender 15-minütiger Pause)
Input 1
10.00–11.00 Uhr
Die multimodale Wende? Ethnografisches Arbeiten war schon immer multimodal
Judith Albrecht (Webster Universität Wien)
11.00–11.15 Uhr
Pause
Input 2
11.15–12.15 Uhr
Mapping Multi-Presence: Methodische Überlegungen zur Erforschung & Visualisierung mehr-als-digitaler Praktiken im Stadtraum
Ruth Dorothea Eggel (Technische Hochschule Köln)
12.15–12.30 Uhr
Pause
Input 3
12.30–13.30 Uhr
Datenerhebung und -management in der digitalen Ethnografie: Methoden und Tools
Chiara Zuanni (Universität Graz)
13.30 – 15.00 Uhr
Mittagspause: kf erde: Universitätstraße 15/ OG 1, ReSoWi
15.00 – 16.30 Uhr
Diskussion
16.30 – 16.45 Uhr
Pause
16.45 – 17.30 Uhr
Output | Nachhaltigkeit | Ausblick
18.00 Uhr
Abendessen: Pizzeria Galliano, Harrachgasse 22
Konzept und Organisation: Judith Laister, Sabrina Stranzl, Isabella Hesse
Moderation: Judith Laister und Judith Albrecht
Protokoll: Isabella Hesse und Sabrina Stranzl
In Kooperation mit: GEWI Forschungsschwerpunkt Migration, Mehrsprachigkeit, kulturelle Transformation sowie dem Conflict, Peace, Democracy Clusters der Universität Graz / Institut für Konfliktforschung Wien.